Ein "Logistikzentrum" am AKW-Standort Würgassen? | Bevölkerung entsetzt und wütend
Über Nacht wurden Pläne bekannt, am Standort des 1994 stillgelegten AKW Würgassen ein "Logistikzentrum" zu errichten. Wie ebenfalls schnell bekannt wurde, verbirgt sich hinter dem beschönigenden Etikett ein Lager für Atommüll. Die Bevölkerung im östlichen Nordrhein-Westfalen, im Dreiländereck mit Niedersachsen und Hessen, ist entsetzt und wütend –- und dies bis hin zu lokalen CDU-PolitikerInnen.
Die Pläne für ein "Logistikzentrum" waren Anfang März von der staatlichen Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) bekannt gegeben worden. Offenbar hatte man darauf gehofft, daß man Fakten schaffen könne, bevor jemand mitbekommt, worum es geht. Am 10. März jedoch gaben GemeinderätInnen und BürgermeisterInnen der umliegenden Orte Beverungen, Bad Karlshafen, Boffzen und Trendelburg eine gemeinsame Erklärung heraus. Darin heißt es: "Wir sind von der Art und Weise, wie mit uns als gewählte Vertreter der im Dreiländereck lebenden Menschen umgegangen wird, entsetzt. Die absolut ungenügende Informationspolitik der Bundesregierung und der von ihr beauftragten BGZ macht uns wütend." Der Bevölkerung vor Ort stellt sich die Frage, warum ausgerechnet ins östliche NRW Atommüll aus ganz Deutschland gekarrt werden soll, der lauf offizieller Planung für Schacht Konrad bestimmt ist.
Im Grunde geht es um das geplante Atommüll-Lager Schacht Konrad bei Salzgitter in Niedersachsen - rund 120 Kilometer von Würgassen entfernt. Das stillgelegte Eisenerz-Bergwerk Schacht Konrad wurde vor Jahren aus politischen Gründen und ohne die notwendige Klärung geologischer Gegebenheiten als Deponie für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll aus ganz Deutschland auserkoren. Schacht Konrad wäre jedoch nach heutigen Maßstäben - ähnlich wie der 1977 vom damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten Ernst Albrecht zum deutschen Atommüll-Endlager ausgerufene Salzstock Gorleben - nicht mehr genehmigungsfähig. Wenn nun aber ein Zwischenlager für Atommüll, der in Schacht Konrad versenkt werden soll, direkt vor Ort gebaut würde, müßte das Genehmigungsverfahren für Schacht Konrad neu aufgerollt werden. Und allein um dies zu vermeiden, setzte man auf Würgassen.
Am heutigen Freitag (13.03.2020) gaben mehrere Bürgerinitiativen eine Pressekonferenz. Jochen Stay von der bundesweiten Anti-Atom-Organisation '.ausgestrahlt' machte darauf aufmerksam, daß sich unter dem Müll, der aus ganz Deutschland für die geplante Deponie Schacht Konrad vorgesehen ist, nicht nur schwach- und mittel-radioaktiver Atommüll, sondern auch stark kontaminierte Bauteile sowie toxische Stoffe wie Arsen und Quecksilber befinden werden. Dieser Müll werde voraussichtlich noch weniger sicher verpackt werden wie stark strahlender Abfall. Dadurch sei letztlich an einem neuen Atommüll-Lager in Würgassen eine ebenso hohe Strahlung zu erwarten. Und von der nicht zu unterschätzenden Zahl an Atommüll-Transporten aus ganz Deutschland zum AKW-Standort Würgassen wäre nicht nur der Kreis Höxter in NRW, sondern auch die Kreise Hochsauerlandkreis, Paderborn und Lippe, die Landkreise Holzminden und Northeim, sowie die Landkreise Kassel und Waldeck-Frankenberg im Dreiländereck zwischen NRW, Niedersachsen und Hessen betroffen. Mit der Fertigstellung von Schacht Konrad als Atommüll-Deponie kann nach offiziellen Angaben frühestens 2027 gerechnet werden.
Auch Jochen Stay betonte: "Da Schacht Konrad nicht mehr dem aktuellen Stand von Wissenschaft und Technik entspricht und deshalb heute nicht mehr genehmigungsfähig wäre, soll ein neues Verfahren mit aller Macht verhindert werden." Allein dies ist offenkundig der Grund für die Entscheidung, das zentrale Eingangslager für Schacht Konrad im 120 Kilometer entfernten Würgassen zu errichten. Der Umweltverband BUND bestätigt diese Einschätzung und lehnt zudem Schacht Konrad als ungeeignet für Atommüll ab. Schacht Konrad "entspricht nicht dem Stand von Wissenschaft und Technik und würde heute nicht mehr genehmigt werden," betonte BUND-Chef Olaf Bandt. Laut BUND handelt es sich bei der Ankündigung eines Atommüll-Lagers in Würgassen um das "Eingeständnis politischer Fehlplanung".
Die staatliche Gesellschaft für Zwischenlagerung (BGZ) verlautbarte lediglich, das "Logistikzentrum" am AKW-Standort Würgassen sei mit dem "Bundesumweltministerium" unter Atom-Ministerin Svenja Schulze (SPD) abgestimmt. Es würden 450 Millionen Euro investiert werden und etwa 100 Arbeitsplätze entstehen. BGZ-Geschäftsführer Ewold Seeba argumentiert: "Der Standort verfügt über die notwendigen freien Flächen und über den notwendigen Anschluß an das Schienennetz." Und aus dem Hause von Svenja Schulze wird die Entscheidung für Würgassen damit gerechtfertigt, das Betriebsgelände direkt bei Schacht Konrad sei für die geplante Halle mit rund 325 Meter Länge, 125 Meter Breite und 16 Meter Höhe zu klein.
Das AKW Würgassen war 1994 nach 23 Jahren Betrieb stillgelegt worden. Es waren bis zu 6 Zentimeter lange Haarrisse im Stahlmantel des Reaktors entdeckt worden. Der Abriß des Atomkraftwerks dauerte von 1997 bis 2014 und kostete mindestens eine Milliarde Euro. Vor Ort ist noch die äußere Gebäudehülle und ein "Zwischen"-Lager für den schwach- und mittelradioaktiven Atommüll vorhanden. Die hochradioaktiven Brennelemente wurden 1996 nach 11-tägigen, letztlich erfolglosen Blockaden der Anti-Atom-Bewegung, an denen sich spektakulär auch Greenpeace beteiligte, in die französische Plutoniumfabrik LaHague abtransportiert.
Falls das Atommüll-Lager Würgassen tatsächlich gebaut wird, dürfte interessant sein zu beobachten, ob es schneller fertiggestellt wird als das dringend nötige Lager für Atommüll am maroden "Versuchsendlager" Asse II.
Kommentar: Beim Start der angeblich neuen Endlager-Suche in Deutschland wurde im Jahr 2014 versprochen, es werde nun transparent und mit Öffentlichkeitsbeteiligung vorgegangen. Doch auch nach sechs Jahren liegt noch kein Gesetz vor, das für die notwendige Offenlegung der geologischen Daten in Deutschland sorgen würde. Auch auf Öffentlichkeitsbeteiligung - geschweige denn einen demokratisch organisierten Auswahlprozess - wird offenkundig nach wie vor kein Wert gelegt - außer in wohlfeilen Regierungserklärungen. Dies zeigen zum Einen die peinlichen drei Jahre des Nationalen Begleitgremiums, das gemäß dem Standortauswahlgesetz die Suche nach einem Atommüll-Endlager in Deutschland seit 2017 begleiten soll. Zum Anderen bestätigt das aktuelle Vorgehen der deutschen Nuklear-Bürokratie im Falle Würgassen dieses Bild, das Robert Jungk 1977 mit seinem Buch "Der Atomstaat" auf den Begriff brachte.